Man kann kein Europa aufbauen ohne die Zustimmung der Europäer. Wer das noch immer nicht begriffen hat, wird es spätestens im Herbst einsehen müssen, sollte dann das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit des deutschen Grundgesetztes mit den jüngsten Reformverträgen feststellen. Die Einzelstaaten dürfen nicht nach und nach ihre Macht an die Union abtreten, ohne dass man irgendwann einmal das Volk dazu befragt. Die Europäer aber wollen diese EU-Verfassung einfach nicht, und es hilft wenig, sie bloß in "Vertrag von Lissabon" umzubenennen. Wobei man nicht glauben soll, dass die Europäer mit "Nizza" tatsächlich zufrieden wären, sie wurden nur eben nicht gefragt.
Dabei sind die Wenigsten in Europa gegen die Europäische Union an sich. Offene Grenzen, gemeinsame Währung, Zusammenarbeit bei Forschung und Umweltschutz, Unterstützung der ärmeren Länder - vieles davon gefällt durchaus. Doch die EU hat ein großes Problem: Sie funktioniert nicht als Demokratie. Das Volk kann in dieser EU nicht der Souverän sein, denn es versteht sie ja gar nicht. Die EU ist bürokratisch, kompliziert, anonym, undurchschaubar. Ihre Verordnungen und Richtlinien wirken auf die Menschen wie die Willkürakte eines Diktators - mit dem Unterschied, dass ein Diktator wenigstens namentlich bekannt ist. EU-Funktionäre hingegen kennt niemand.
Auch die Medien spielen eine Rolle bei der Entfremdung der Europäer von ihrer Union. Sie berichten zu wenig, was auf der europäischen Bühne gespielt wird. Ob allerdings der durchschnittliche Medienbürger auch tatsächlich mehr darüber wissen möchte? Jedenfalls liegt sein Wahrnehmungsfokus bei politischen Fragen klar auf der nationalen Ebene. Das wird sich so schnell auch nicht ändern: Jedes der 27 Mitgliedsländer hat seine eigenen Probleme, Themen und Sichtweisen, und 27 Medienwirklichkeiten lassen sich nicht so einfach miteinander verschmelzen. Würde man auf einen Schlag die Nachrichten von "Deutschland" auf "Europa" umstellen, könnte sie hier kaum noch jemand verstehen.
Eine Demokratie setzt voraus, dass sich der Bürger durch die Medien über die aktuelle politische Diskussion informieren, und sich so ein Bild über die Arbeit seiner Regierung machen kann. Wird zum Beispiel im Bundestag etwas beschlossen, mit dem der Bürger nicht einverstanden ist, so schlägt sich das in seiner Wertschätzung der verantwortlichen Personen und Parteien nieder, und das kann sich auf das Ergebnis bei der nächsten Wahl auswirken. Politiker wissen dass, und achten darum stets auf die öffentliche Meinung. "Demokratie" ist, wenn Wähler ihre Politiker durch Stimmentzug bestrafen dürfen. Dazu aber ist es nötig, dass man stets den politisch Verantwortlichen dingfest machen kann. Bei der Bundespolitik ist das einfach: Verantwortlich sind hier im Zweifelsfall immer die Bundesregierung und damit letztlich die Regierungsparteien.
Wie ist das aber im Fall der Europäischen Union? Stellen wir uns vor, durch die EG würde eine Richtlinie verabschiedet, mit der ich absolut nicht einverstanden bin, und zwar in einer Mehrheitsentscheidung im EU-Rat gegen die Stimmen der Bundesregierung. Derartige Mehrheitsentscheidungen sind auch heute schon möglich. Die "Schuldigen" in diesem Fall wären die Regierungen der anderen Mitgliedsstaaten, doch auf deren Wahl habe ich als Deutscher ja keinen Einfluss. Ich verliere so das Gefühl, mit meiner Wählerstimme etwas bewirken zu können.
Aber auch ein Beharren auf Einstimmigkeit wäre keine Lösung. Dann könnte ich zwar für jede schlechte EU-Entscheidung die Bundesregierung zur Verantwortung ziehen, doch was nützt das, wenn diese Entscheidung aufgrund der geforderten Einstimmigkeit kaum wieder rückgängig gemacht werden kann? Ohnehin ist Einstimmigkeit bei 27 Mitgliedsstaaten nur schwer zu erreichen.
Zum Glück gibt es neben Mehrheitsprinzip und Einstimmigkeit noch eine dritte Möglichkeit: Wer zwingt uns eigentlich dazu, immer für die ganze EU einheitliche Entscheidungen zu fällen? Warum darf nicht jedes Land von Fall zu Fall selbst entscheiden, ob es mitmacht oder nicht? Einstimmigkeit unter den Freiwilligen sozusagen. Bei der Einführung des Euro ging das ja schließlich auch.
Das wäre freilich das Ende des Traumes vom europäischen Bundesstaat. Doch wozu brauchen wir den überhaupt? Vielleicht, damit wir uns endlich wieder groß und mächtig in der Welt fühlen können? Schließlich wären "Wir" mit fast einer halbe Milliarde Einwohnern das drittgrößte Land der Welt, militärisch die Nummer Zwei und wirtschaftlich sogar der Spitzenreiter. Gar nicht zu reden von den ganzen Gold-Medaillen, die ein gemeinsames Europa bei Olympia einheimsen könnte.
Aber muss das alles wirklich sein? Was ist denn gegen kleine Länder einzuwenden, solange sie nur bereit sind, sich in wichtigen Fragen miteinander zu einigen. Schließlich wäre für die Lösung globaler Probleme ja selbst die EU noch zu klein. Wir brauchen keinen Hyperstaaten, sondern eine engere Zusammenarbeit der Nationen, sowohl innerhalb als auch außerhalb Europas. Die Zukunft ist international.
Auf seiner Homepage findet man ausführliches Material zur Verfassungsklage gegen den Vertrag von Lissabon, unter Anderem das Rechtsgutachten von Professor Dr. Dietrich Murswiek.
»Nun schluck endlich!«Eine bittere Pille: Die Politik schafft eine EU, die ihre Bürger nicht wollen. |