Ein Stück Knete auf seinem Weg durch die Nachrichtenflut
Samstag, 7. Juni 2008, 21:18
Medienknete - Personalisierung

Wo sind meine Nachrichten?

Wie kommt es, dass jeden Tag genau so viel passiert, dass man damit eine Tagesschau füllen kann?

Nachrichten wählen aus. Das ist vielleicht sogar ihre wichtigste Aufgabe. Denn mit der heutigen Technik wäre es kaum ein Problem, jedem einzelnen alle erdenklichen Information zukommen zu lassen. Nur glücklich würde man damit kaum werden. Die Tagesschau dagegen wirkt relativ übersichtlich, wobei sie, wie es ihre Macher ausdrücken, "sachlich, knapp und präzise über die aktuellen Ereignisse des Tages" informiert, und dabei auch noch "umfassend" sein will. Wir können auch getrost davon ausgehen, dass sich ein großer Teil ihrer zehn Millionen Zuschauer tatsächlich gut informiert fühlt. Aber sind sie das wirklich?

Jede Nachrichtenauswahl birgt immer den Verdacht einer Manipulation: "Warum berichten die über Thema A, aber sagen nichts zum Thema B?" fragt man sich früher oder später - vorausgesetzt, man kennt überhaupt das Thema B. Darum erscheint es im ersten Moment auch wie ein Befreiungsschlag gegen das Establishment aus Staatsfernsehen und Medienkonzernen, wenn man für sich das Internet als neue Quelle für "B Themen" entdeckt.

Ziemlich schnell erkennt man allerdings, dass es im weltweiten "Informationsüberflutungsnetz" nicht nur das Thema B, sondern auch noch die Themen C, D, E, F und hunderttausend weitere Themen gibt, von denen die meisten eins gemeinsam haben: Sie sind nicht die Bohne interessant.

Die meisten Menschen wünschen sich also irgend eine Form der Vorauswahl von Nachrichten, um in all dem uninteressanten "Noise" die wenigen interessanten "News" zu finden.

Wer ist hier der Türsteher?

Dabei haben wir eigentlich zwei Probleme:

  1. Wie finden wir aus der Fülle der Meldungen diejenigen heraus, die überhaupt irgendeinen Nachrichtenwert besitzen? Das heißt, wie werden wir zum Beispiel den Werbespam los?
  2. Wie finde ich in der Fülle der Nachrichten genau diejenigen, die mich interessieren?
Auf dem Weg zu einer Lösung des ersten Problems gibt es im Internet inzwischen zahlreiche Versuche, die althergebrachte Methode einer redaktionellen Nachrichtenauswahl durch etwas Demokratischeres zu ersetzen. Das Ergebnis sind Nachrichtenseiten, die Nachrichten nach Klicks, Verlinkungen oder Nutzerbewertungen auswählen. Das funktioniert im Großen und Ganzen sogar, obwohl die relative Anonymität des Internet prima Möglichkeiten für eine gezielte Manipulation derartiger "Abstimmungen" böte.

Allein, das zweite Problem ist damit noch lange nicht gelöst, denn was die Mehrheit spannend findet, muss für mich noch lange nicht interessant sein. So scheinen generell Boulevardthemen und "Nerd"-Nachrichten gewisse Vorteile im Wettkampf um die Gunst des typischen Internetnutzers zu haben.

Man wünscht sich also "personalisierte Nachrichten", also die und genau die Nachrichten präsentiert zu bekommen, für die man sich auch interessiert. Um es kurz zu machen: So etwas gibt es nicht. Das größte Problem dabei ist nämlich, wie man festlegen soll, was einen interessiert und was nicht. Aktuelle Versuche in diese Richtung laufen zumeist darauf hinaus, dass man sich Nachrichten zu bestimmten Schlüsselworten heraussuchen lassen kann. Das funktioniert mal besser, mal schlechter, hat aber in jedem Fall den Nachteil, dass man gezwungen ist, sein komplettes Interessenspektrum in das Korsett einer begrenzten Anzahl von Schlüsselworten zu packen. Angenommen, ich hätte zufällig weder "Terrorismus" noch "Hochhäuser", "New York" oder "Flugzeuge" in meine Liste aufgenommen, wäre dann am 11. September 2001 etwa eine interessante Neuigkeit an mir vorüber gegangen?

Außerdem: Selbst wenn ich mir von Google News Nachrichten nach den Begriffen "Computer", "Informationstechnologie" und "Telekommunikation" heraussuchen lasse, wäre das Ergebnis noch lange kein Heise-Ticker. Kein automatisches Verfahren kommt nämlich bislang qualitativ an die Filterleistung einer Redaktion heran, jedenfalls wenn sie eine ausreichend spezifische Nachrichtensparte bedient. Was nicht heißen soll, dass nicht auch Redaktionen oft langweilige Themen auswählen. Aber genau das ist ja das Problem.

Epic 2015

Dass man die Personalisierung von Nachrichten auch durchaus kritisch sehen kann, belegt eindrucksvoll der Film Epic 2015 aus dem Jahr 2005 (Text) über die mögliche Zukunft der Nachrichtenmedien. Die dort gezeigte Vision eines "Evolving Personalized Information Construct" (Epic) stellt gleichsam den Endpunkt personalisierter Nachrichten dar: Epic "...ist ein System, durch das unsere ausufernde, chaotische Medienlandschaft gefiltert, geordnet und dem Nutzer geliefert wird. ... Epic stellt für jeden ein Content-Paket zusammen, das seine Vorlieben, seine Konsumgewohnheiten, seine Interessen, seine demografischen Faktoren und seine sozialen Bindungen nutzt. Bestenfalls ist Epic für seine klügsten Nutzer eine Zusammenfassung der Welt, tiefer, umfassender und nuancierter als alles vorher Erhältliche. Aber schlimmstenfalls ist Epic für allzu viele Menschen lediglich eine Ansammlung von Belanglosigkeiten, viele davon unwahr, alle begrenzt, flach und sensationslüstern."

Thesen

  • Selbst wenn man eigentlich keinen "Gatekeeper" möchte, der für einen die Nachrichten auswählt, irgendwie braucht man ihn doch.
  • Was die meisten interessiert, interessiert mich noch lange nicht.
  • "Personalisierte Nachrichten" sind (bislang) Utopie.
  • Wie würde es sich auf die Gesellschaft auswirken, wenn durch Personalisierung der integrierende Faktor "Massenmedium" wegfiele?

Links

  • Findory: Eine Art "lernendes" Nachrichtenportal, das versucht hat, aus der bisherigen Auswahl von Nachrichten und der Nachrichtenauswahl ähnlicher Nutzer auf zukünftige Vorlieben zu schließen. Leider wurde das Projekt Ende 2007 eingestellt.
  • medienlese.com: "Wie sinnvoll sind rein automatische oder alleinig von Nutzern bestückte Newsseiten? Ist es nicht besser, einen Redakteur als Filter einzusetzen...?"
    Ole Reißmann lässt diese Fragen allerdings unbeantwortet.
  • netzwertig.com: "Immer weniger bestimmen professionelle Medienschaffende, welche News wir als wichtig empfinden. News werden sozial. ... Denn wer weiss schon besser als unsere Freunde und Bekannten, was uns potentiell interessieren könnte?"
    Schon wahr, aber wo haben die Freunde eigentlich ihre Nachrichten her? Und was ist mit den Leuten, die nicht wirklich viele "Freunde" im Internet haben - also zum Beispiel mit dem Durchschnittsmediennutzer?
  • netzwertig.com: "Je weiter vorn man als Journalist, Blogger oder sonstwie gearteter Informationbroker sein will, desto mehr muss man gewillt sein, den Kampf mit dem Lärm aufzunehmen."
    Ja, aber für den "Normalbürger" ist das nicht so. Der will sein halbes Leben nämlich nicht mit Strampeln in der Informationsflut verbringen, und braucht darum "News" und nicht "Noise". Die bekommt er bisher wohl noch leichter von Tagesschau als von Technorati.
  • Zu Epic 2015: Während sich stefan.ploing.de vor allem um die Manipulationsmöglichkeiten sorgt, spricht epolitik.myblog.de Probleme des Datenschutzes und der Marktmacht Googles an.

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