Ein Stück Knete auf seinem Weg durch die Nachrichtenflut
Montag, 12. Mai 2008, 15:25
Medienknete - Amstetten und die Lust am Verbrechen

Die Lust am Verbrechen

Ein spektakuläres Verbrechen im österreichischen Amstetten fasziniert die Medien. Ein Mann hat seine Tochter jahrzehntelang in einem Keller eingesperrt und dort mit ihr mehrere Kinder gezeugt. Wochenlang sorgt der Fall für Schlagzeilen, immer neue Details werden enthüllt, man interviewt "Experten" wie das Entführungsopfer Natascha Kampusch, Bilder des Täters und ein Computermodell des Kerkers sorgen für noch mehr gruselige Anschaulichkeit. Nicht nur die Boulevardpresse berauscht sich an der Widerlichkeit der Untat, denn auch kein noch so seriöses Nachrichtenmedium kommt um den Fall herum. Da versucht so mancher Journalist, dem ausufernden Voyeurismus ein Feigenblatt aus angeblicher gesellschaftlicher Relevanz vorzuhängen. Doch jeder Verkehrsunfall wäre gesellschaftlich relevanter als das Amstettener Verbrechen, denn Verkehrsunfälle geschehen häufiger und fordern mehr Opfer, und über die Natur des Menschen könnte man genauso viel aus jedem Stephen-King-Thriller lernen.

Wozu also müssen wir eigentlich so genau über diesen Fall bescheid wissen? Aus Sicht der Medien ist diese Frage falsch gestellt: Die Leute wollen es wissen, also wird darüber berichtet. Journalisten nennen das "öffentliches Interesse". Dagegen ist wenig einzuwenden, jedenfalls solange man Journalismus nicht für etwas ethisch Hochstehendes und Wichtiges hält, sondern darin auch nur eine andere Form der Unterhaltung sieht.

Thesen

  • Wenn ein Boulevardthema sensationell genug ist, kommt kein Qualitätsjournalismus daran vorbei.
  • Nicht alles, wofür sich die Leute interessieren, ist damit auch wichtig.
  • Wenn Nachrichten ausschließlich darüber berichten, was die Leute vielleicht interessant finden, und nicht darüber, was für sie wichtig ist, dann sind sie von Unterhaltung nicht mehr zu unterscheiden.

Links

Medienkritik:

Verteidigung:

  • frblog.de: "Die gesellschaftliche Relevanz des Falles ist evident".
    Anmerkung: Leider ist der Artikel inzwischen verschwunden, angeblich ging es in der Diskussion darüber zu heiß her. Darum hier ein paar Screenshotausschnitte, die der Google-Cache für mich gerettet hat.

  • taz.de: "Wirklichkeit muss auch dann beschrieben werden, wenn sie schrecklich ist".
  • blog.tagesschau.de: "Ein legitimes Interesse".

»Abgründe, Abgründe!«

Herr F. und seine Tochter bei einem Spaziergang über die Amstettener Boulevards.


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